So, 30.08.2015

5 Uhr

… der Wecker klingelt in meiner Söldener Ferienwohnung. Ach so, Ötztaler! Aufstehen, frühstücken, letzter Radcheck, Zähne putzen und noch im Dunkeln geht es los zum verabredeten Treffpunkt an der Gaislachkoglbahn, wo ich mit Freund und Teamkollege Kai verabredet bin. Bisschen warmfahren, Pippi machen und warten ist nun angesagt… ist ja noch eine knappe Stunde Zeit. Aufstellen mit 4300 Startern. Krass, mein bisher wohl größtes Rennen von allen.


6.45 Uhr

Sölden (1377 m) – km 0

Angeblich soll es nun los gehen. Naja, stehen im Mittelfeld und es dauert noch  fünf Minuten bis wir endlich losrollen.

Start Ötztaler Radmarathon bei der BP Tankstelle.

Dann geht es sehr lässig nach …

Ötz (820 m) – km 32, schön locker.

Manche bleiben tatsächlich im (!!!) Kreisverkehr (angekündigte Gefahrenstelle) stehen und ziehen ihre Weste aus. Mehr als Weste und Armlinge sind beim wohl wärmsten und trockensten Ötzi aller Zeiten nicht nötig. Na, da hab ich wohl Glück… und das bei meiner ersten Teilnahme.

Dann geht’s 18,5 km und 1200  Höhenmeter hochzus mit maximal 18% Steigung.

Kühtai heißt der erste Pass. Diesen fahren wir locker, im oberen Grundlagenbereich hinauf.

Krass – soviele Radsportler.

Es kommt mir vor wie ein Telespiel.

Langsam, bloß nicht überzocken.

Check Puls: alles locker.

Stetig können wir eine ganze Menge Plätze gut machen.


8:50 Uhr

Kühtai (2020 m) – km 51

Oben angekommen, die erste Labestation. Ich höre auf die Worte von meinem Teamkollegen Markus, welcher schon einige male den Ötzi gefahren ist: „Essen, essen, essen!“, und schnappe mir zwei Riegel, ein Brot und zwei Gels und fülle die Flaschen auf. Noch mal schnell gepinkelt und weiter geht’s. Schnell geht es weiter.

Die Abfahrt vom Kühtai ist ebenfalls schnell, ganz schön schnell. Als ich kurz auf den Tacho schaue, zeigt er 102km/h an. Hui. In schnittiger Form rolle ich erstaunlicherweise als Mountainbiker an einer ganzen Menge Rennradfahrern vorbei.

Kematen (700 m) – km 66

Nach einem kurzen Rollerstück in und um …

Innsbruck (600 m)- km 88

folgt der 39 km  lange Aufstieg über 777 Höhenmeter mit maximal 12% Steigung auf den Brenner. Dazu rollen wir die alte Brennerstraße hinauf. Der vermutlich leichteste von den vier Pässen, die es heute zu bezwingen gilt. Tatsächlich rollt man in einer Gruppe (wohl etwas zu schnell) den Brennerpass hinauf.


11:05 Uhr

Brenner (1377 m) – km 127

Oben die zweite Labestation. Ja, ja, ja Markus: „Essen nicht vergessen!“. An der Labestation gibt es eigentlich alles, was das Herz begehrt. Blöd wie ich bin, esse ich keine Nudeln, sondern irgend etwas, was ich – aus welchen Gründen auch immer – wohl nicht vertrage. Nun lässt sich leider nicht mehr ausschließen, was es war, die Zitrone, das Red-Bull, das Käsebrot oder alles in Kombination? Oder etwas anderes? Doch dazu später mehr…

Flaschen noch aufgefüllt und weiter.

Kurze Abfahrt vom Brenner und sogleich startet bei …

Sterzing (960 m) – km 146 der 15,5 km lange Aufstieg mit 1130 Höhenmetern und maximal 12 % Steigung zum Jaufenpass.


13:13 Uhr 

Jaufenpass (2090 m) – km 161

Der Jaufenpass sollte sich, wegen der mittlerweile hochsommerlichen Temperaturen und seiner gleichmäßigen Steigung, eigentlich gut fahren lassen. Eigentlich…

Der Aufstieg ist meist gut geschützt von Nadelbaumen und befindet sich  im Schatten. Irgendwie merke ich allerdings, dass meine Beine nicht so funktionieren, wie die von Kai und dass ich, trotz Wohlfühlpuls, nicht richtig rund laufe. Also nicht nur die Beine….

Dennoch ist der Jaufen inklusiver der mittlerweile dritten Labe irgendwann geschafft.

An der Labestation am Jaufenpass allerdings ekelten mich die feilgebotenen Sachen, obwohl wirklich alles sonst Wünschenswerte dabei ist, so sehr an, dass ich mir einfach etwas in die Trikottasche stecke, Flaschen auffülle, kurz dehne und mich auf die Weiterfahrt begebe. Beim Auffüllen der Flaschen musste ich festzustellen, das diese noch gar nicht leer waren…

Die Abfahrt vom Jaufenpass lief trotz angekündigter Gefahrenstellen (miserable Straßenverhältnisse) eigentlich ganz gut (wenn sich der ganze Michael besser gefühlt hätte…). Trotzdem konnte ich noch hier einige Plätze gut machen.

Dann war es soweit. Das Timmelsjoch stand uns bevor.  Der wohl schwerste Aufstieg am heutigen Tag: 28,7 km mit 1759 Höhenmetern und 12-14 % Steigung erwarteten mich ab …

St. Leonhard (750 m) – km 183

Kaum hatte ich mich, bei mittlerweile brütender Hitze mit der kühlenden Abfahrt erholt, ging es nun langsam und langsamer für mich die ersten Höhenmeter vom Timmelsjoch hinauf.

Da ich nach jedem Schluck aus meiner Flasche mittlerweile einen starken Brechreiz verspürte, versuchte ich es, soweit es ging ohne trinken. Dieses Unterfangen konnte natürlich nicht gelingen, schon gar nicht bei dieser Hitze. Spaß machte alles schon lange nicht mehr. Ich versuchte mich um einen runden Tritt, immer kurz vor einen Krampf.

So hätte es dann Serpentine für Serpentine wenigstens weiter gehen sollen…

Allerdings hatte ich mittlerweile starke Brechreizfeelings und auch Krampfprobleme ohne Ende, die mich entweder zum Brechen oder zum Gehen zwangen.

Also schickte ich den ständig auf mich wartenden Kai weiter, um mich vom Besenwagen einsammeln zu lassen.

Bis es allerdings so weit war, konnte ich ja nach einer Weile noch ein Stück weiter gehen. Ist ja auch ein gutes Training, zumal ich das Laufen in Rennradschuhen ja auch noch üben muss.

Da sah ich zu meiner rechten einen kleinen Wasserfall aus dem Berg kommen. Lustig wäre es wohl sich dort ein wenig abzukühlen. Naja, da hab ich mich halt mal reingesetzt in den Miniwasserfall. Wie lange ich darin gesessen hab, kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Ich denke, ich konnte es ohnehin nicht mehr einschätzen. Quasi frisch geduscht und ordentlich abgekühlt versuchte ich dann doch noch einmal etwas zu fahren, was mir auch ein kleines bisschen gelang.

Nach gefühlten zehnmal übergeben erreiche ich dann doch die erste Verpflegung am Timmelsjoch,

Schönau – km 201, wo ich wohl auch besser auf den Besenwagen warten konnte wie unter dem Wasserfall. Im Angebot der Labe war auch Suppe, welche eher für kältere Temperaturen gedacht ist. Da ich, nach langem Suchen wohl Hilfsbedürftig  ausgesehen haben muss, wurde sie mir auch angeboten. Riegel oder Gels wären sowieso wieder (würg)…..daran brauchte ich nicht mal denken. Wieder erwarten konnte ich die Suppe ohne Würgereiz zu mir nehmen, dazu setzte ich mich auf eine Bank. Nach ein paar Schlucken rief plötzlich eine Stimme hinter mir: „Der nächste bitte.“ Da hatte ich mich doch direkt vor die Massagestation gesetzt. „Ok!“, dachte ich, „schaden wird es wohl nicht und wenn doch – auch egal.“

Den Wunsch nach einer gewissen Zeit im Ziel sein zu wollen, hatte ich ohnehin schon längst nicht mehr.

Nach einer wohltuenden und langen Massage trank ich in kleinen Schlücken meine Suppe, holte mir eine Cola und wartete noch ein wenig… so wie es mir die Physiotherapeutin angeordnet hatte. Danke nochmal dafür!

Nach ein paar Metern gehen, setzte ich mich nochmal auf das Rad und siehe da, die Beine konnten wieder fahren, fast so wie man es kennt. Ohne Brechreiz jedenfalls.

Die Beine waren natürlich keineswegs frisch, aber sie funktionierten bis zum letzen Höhenmeter. Ok, zweimal musste ich noch schieben, ich gebe es zu.


16:59 Uhr

Timmelsjoch (2509 m)

Den kleinen Gegenanstieg zur Mautstation Timmelsjoch habe ich dann auch noch geschafft.

Nach einer schnellen Abfahrt nach Sölden war ich dann endlich nach 238 km, 5500 Höhenmetern und 10:43 h („nie wieder!!!“) im Ziel. Wer hätte das gedacht?

Im Ziel war mir jedoch nicht nach Finisher-Bier zumute. Ich lies mich von meiner Familie einsammeln und in die Ferienwohnung bringen.

Nun musste ich mich erstmal in die Wanne legen, mit heißen Tee versorgen und in das Reich der Lebenden zurückführen lassen.


Mo, 31.08.2015

Ich mache mir Gedanken, was ich beim nächsten Ötztaler optimieren könnte. Es wird also noch einen nächsten geben….und ich fange schon langsam an, mich darauf zu freuen….ganz langsam.

Michael Münch

Finisherzeit 10:43h

Gesamtrang= 2131.

AK= 1136.