Rennbericht von Steve Werner

Nur spaßeshalber hatte ich mich vor gut drei Wochen um einen Nachrück-Platz für den chronisch ausgebuchten P-Weg-Marathon in Plettenberg bemüht. Schon drei Tage später kam die erfreuliche Antwort. Hurra! Also sollte meine eher mäßige Vorstellung beim Drei-Täler-Marathon in Titmaringhausen doch nicht den Saisonabschluss bilden. Zudem melden sich endlich meine Beine wieder zurück und auch die Frische kommt kurz vor Saisonende noch einmal wieder. So konnte auch das miserable Wetter meinen Optimismus nicht schmälern.

Nach einer Nacht Aufenthalt mit Familie und Freunden in Winterberg startete ich am Samstagabend mit dem Camper auf eine Reise quer durchs Sauerland und kam direkt vor der Anmeldung, auf einem zentral gelegenen Parkplatz, nur unweit des Start/Ziel-Bereichs zum Stehen. Einmal mehr genoss ich die Vorzüge unserer mobilen kleinen Wohnung und da ich ausnahmsweise mal alleine damit unterwegs war, konnte ich ungehemmt meinen ganzen Fahrradkram verteilen. Natürlich korrekt sortiert, sodass am Morgen alle Vorbereitungen flüssig abgewickelt werden könnten: Klamotten aufgereiht, Helm, Handschuhe, Rennhandy, Ersatzlinsen, Leder-Notruf-Armband (mit Majas Nummer eingebrannt), Riegel, selbstgemachtes Gel (im praktischen Spender von Michi), Bidons. Was ein irrwitziger Aufwand für dreieinhalb Stunden Radfahren im Matsch und nicht zu vergessen, dass der ganze Kram nebst Ersatzkleidung, Duschzeug usw. erst gepackt werden musste. Vom wieder auspacken will ich gar nicht erst anfangen… Starterbeutel-Inhalt sortieren nach Altpapier, Nahrungsmitteln, Spielzeug für Luna usw., dann Klamotten auswaschen, Rad instandsetzen…Alle, die das mitkriegen, begegnen mir mit Kopfschütteln. Zu Unrecht!

Aber leider hilft die beste Vorbereitung nichts, wenn man derart verstrahlt aufwacht wie ich an diesem Sonntag. Bis zur Startnummern-Ausgabe lief alles gut. Ich war ja früh dran. Auch vor den Toiletten gab es noch keine beängstigenden Warteschlangen. Nein, wieder zurück im Bus hatte ich ganz einfach meinen Schlüssel verlegt. Ein Worst-Case-Szenario! Nach fünfzehn endlos langen Minuten wurde ich endlich fündig. Ok, damit hatte ich meine Panne für heute und würde dafür wohl im Rennen von Defekten verschont bleiben. Nach der kurzen Panikattacke kroch mir nun die Aufregung in die Glieder. Draußen wurde es auch langsam hektischer. Wer sich mit dem Rennen in Plettenberg näher beschäftigt hat, weiß, welcher Aufwand hier betrieben wird. Über 2000 Sportlerinnen und Sportler an zwei Tagen in den Bereichen Wandern, Laufen und Biken nehmen die Kleinstadt ein. Die Innenstadt ist zeitweise komplett abgesperrt. Eine riesige Bühne steht im Zentrum, auf welcher die Sportler nach dem Zieleinlauf empfangen werden. Hier ist alles super organisiert, nicht nur neben den Strecken.

Gegen 8:45 Uhr konnte ich mich dank meiner Lizenz im ersten Starterblock einreihen. Insgesamt hatten sich ca. 300 Fahrerinnen und Fahrer eingefunden, um die 74 bzw. 93 Kilometer in Angriff zu nehmen. Eine Stunde später würden ca. 700 auf die Kurzstrecke starten. Das Wetter hat sich nach zwei Tagen Dauerregen endlich wieder beruhigt und wie üblich legt eine Tanzgruppe direkt vor der Startlinie los, während ich nervös an meinem Mudcatcher herumfummle. Ist da etwa der Verschluss des Kabelbinders fetze? Egal, wenn mir das Ding nur nicht während des Rennens ins Vorderrad baumelt. 10, 9, 8, …. Start!

Am Anfang geht es direkt von 220 auf knapp 400 Höhenmeter hoch. Ich entnehme diese Information der Streckenbeschreibung, da meine Erinnerungen an die ersten 45 Rennminuten nahezu ausgelöscht sind. Zumindest weiß ich, dass ich die Führenden noch im Blick hatte, als es, nach einer Abfahrt, ab Kilometer 7  wieder von 220 auf 520 Meter hoch ging. Mein Puls stieg hier in den dunkelroten Bereich, auf 188, an. Im folgenden Flachstück war an Erholung kaum zu denken. Ich befand mich in einer hoch motivierten Fünfergruppe, die schnell ihren Rhythmus gefunden hatte. Im Minutentakt wurde die Führung gewechselt, wobei das Fahren im Windschatten mit gut 40 km/h nicht dazu beitrug, den Laktatspiegel wesentlich zu senken. Aber die Raserei lohnte sich. Nach und nach kamen weitere Fahrer in Sichtweite, die wir bald darauf schlucken konnten. Ich schätzte, dass ich unter den ersten 15 liegen müsste, inklusive der Fahrer, die bei der Streckenteilung auf die 93 Kilometer abbiegen würden.

Es lief also gut und ich setzte noch einige Hoffnungen in die ab Kilometer 30 beginnende Steigung, die laut Höhenprofil ca. 5 % betrug und sich ungefähr über 8 Kilometer hinziehen sollte. Das wäre genau mein Ding und ich hatte vor, meine Platzierung hier mindestens zu konservieren. Im Endeffekt hatte das geklappt, aber unter völlig anderen Voraussetzungen als angenommen. Oben lagen zwar die 350 Höhenmeter hinter mir, aber der Weg hier hin war ganz und gar nicht gleichmäßig, sondern eher sägezahnmäßig verlaufen, dazu gespickt mit extrem matschigen Trails. Die Gruppe war noch einigermaßen beisammen und wundersamer Weise hatte ich sogar noch so viel im Tank, dass ich nach der Streckenteilung und einem sehr steinigen Downhill noch eine Schippe draufpacken konnte.

An den Dreck hatte ich mich längst gewöhnt und ich war besonders froh über meine Bein- und Armlinge. Ab Kilometer 50 wurde die Strecke sehr wellig, und in den vielen nassen Abfahrten konnte man bei Temperaturen um die 14 Grad ordentlich auskühlen, was mir erspart blieb. Mit letzten Kräften arbeitete ich mich im Alleingang noch an einen Fahrer heran, der aber noch ausreichend Energie für einen Konter hatte. Die komplizierten Abfahrten am Ende kamen mir auch nicht wirklich entgegen und aufgrund schwindender Kräfte wendeten sich meine Blicke immer häufiger nach hinten. Da hätte das Rennen eigentlich fast vorbei sein müssen. Die Uhr zeigte bereits 72,5 Kilometer an (am Schluss waren es dann auch 76 anstatt 74), aber ich befand mich noch immer auf einem endlos ansteigenden Schotterweg, hoch oben, über den Dächern der Stadt. Da stimmt doch was mit der Längenangabe nicht! Als ob der teilweise knöcheltiefe Morast nicht schon gereicht hätte, brummte man uns hier Zusatzrunden auf!

Der Akku war jetzt völlig leer und nur durch kleine Psychotricks konnte ich das Tempo noch aufrecht halten, bis endlich die Bühnenlautsprecher zu hören waren. Die befanden sich allerdings noch gefühlte 150 Meter unter mir. Wollte das denn kein Ende nehmen? Mit letzter Konzentration und Motivation passierte ich die wirklichen fiesen Spitzkehren, bis endlich Teer in Sichtweite kam. Der Blick über die Schulter verriet, dass da nichts mehr kommen würde und so konnte ich wenigstes die letzten 500 Meter ins Ziel noch genießen, was besonders an den einmaligen Zuschauermassen lag. Etwas Vergleichbares hatte ich bisher wirklich noch bei keinem Rennen erlebt. Plötzlich landete ich auf einem nicht roten, aber grünen Teppich, der hoch auf die besagte Bühne ging. Die Ziellinie musste ich wohl kurz vorher überquert haben. Jetzt wurde die Ankunft der Titanen von den Massen gefeiert. Nach ein paar Worten der Erschöpfung ins Mikro verschwand ich schnell im Backstagebereich, wo man uns mit Kuchen, Cola und weiteren Gaben empfing. Ich nahm von allem mehr als reichlich. Der Gedanke an den aktivierten Warmwasserbeuler im Camper lockte mich aber bald weg. Nach dem Duschen war ich natürlich gespannt auf das Ergebnis der ganzen Tortur. Platz 7 gesamt und Platz 2 in der Altersklasse wurde auf einem der Bildschirme angezeigt. Das ging absolut in Ordnung und ich freute mich schon darauf, die große Bühne ein zweites Mal zu betreten, vor der langen Winterpause.

Also, tschüss, und bis zum nächsten Mal!

Steve

Ergebnis

Mitteldistanz (74 km)

Steve Werner: 2. AK / 7. Gesamt

Foto: Felix Pembaur