Das Handy klingelte um 3.40 Uhr in der Früh, mit dem wohlbekannten Klingelton, der uns schon so oft zuvor aus dem Schlaf gerissen hat. „Uns“ das bin ich, Markus – und Ralf. Ralf ist ein Radsportkollege, mit dem ich schon viele gemeinsame Radsportveranstaltungen bestritten habe. Die Schwalbe Transalp, den Giro Dolomiti, das Peakbreak, den Ötztaler Radmarathon und noch viele andere Rennen sind wir schon gemeinsam gefahren.

Aber diesmal war es schon etwas besonderes. Ich hatte viel im Tour-Forum gestöbert und bin dabei auf die ‚Tour du Mont Blanc‘ gestoßen. Ich hatte Ralf schon vor zwei Jahren davon erzählt und ihn mit dem Argument gelockt, dass dies doch ein großes Abenteuer wäre, bei dem wir uns nicht einmal hundertprozentig sicher sein könnten, das Ziel zu erreichen. Und genau dieser Gedanke fesselte uns und ließ uns auch nicht mehr los.

So stand sie also dieses Jahr auf dem Plan, diese gewaltige Herausforderung für jeden Radsportler. Allein die Eckdaten klingen furchterregend: 330 km mit 8000 Höhenmetern über 7 Pässe fordern eine gründliche Vorbereitung. Und jetzt sollte es also losgehen.
Wir sprangen aus dem Bett und frühstückten unser bereitgestelltes Müsli. Auf Kaffee mussten wir um diese Uhrzeit verzichten, stattdessen gab es ein Iso-Getränk.
Dann folgten die üblichen Vorbereitungen. Radklamotten anziehen, nochmal alles checken und den Inhalt der Taschen kontrollieren und dann ging es auch schon in den Startbereich, wo um 5.00 Uhr der Startschuss fallen sollte.

Als wir gegen 4.50 Uhr im Startbereich eintrafen standen natürlich schon fast alle Teilnehmer in der Startaufstellung und wir stellten uns ganz am Ende an. Noch schnell ein Foto von uns schießen lassen und dann ging es auch schon los.


Natürlich hatten wir Licht installiert, denn die erste Stunde des Marathons findet im Dunkeln statt. Wir ließen das ganze Feld losfahren und fuhren am Ende des Feldes die erste Abfahrt vom Startort ‚Les Saisies‘ hinab durch ‚Notre Dame de Bellecombe‘ nach ‚Megeve‘. Auf der Abfahrt gab es keine besonderen Vorkommnisse. Einige Teilnehmer standen schon mit Pannen am Rand, aber das ist ja bei Marathons normal. Ein großes Schlagloch hatte ich nicht gesehen und bin voll durch-gerumpelt, aber ansonsten ging alles eigentlich ganz ruhig und diszipliniert vonstatten.

Anschließend ging es einige Kilometer flach bis leicht wellig dahin und es wurde langsam hell. Der Himmel war bewölkt und es war eine angenehme Temperatur zum Radfahren. Jetzt konnte man auf der rechten Seite zum ersten Mal einen Blick auf den Mont Blanc erhaschen, den wir heute im Laufe des Tages nicht so oft zu sehen bekommen sollten, wie wir uns das vorher vorgestellt hatten. Doch dazu später mehr…
Es ging ein wenig durch den Wald und, weil keine der Gruppen dort unser Tempo fahren wollte oder konnte, waren wir bald alleine unterwegs und kamen nach 56 km an der ersten Verpflegungsstelle an, die am Fuße des Anstieges zum ‚Col de Montets‘ gelegen war. Dort gab es erst mal ein richtiges Frühstück, denn bei den Gedanken an die Höhenmeter, die noch vor uns lagen, griffen wir lieber einmal mehr zu, als zu wenig.
Die Verpflegungsstellen waren durchweg gut ausgestattet. Es gab sogar Powerbar-Riegel und auch sonst war alles nötige vorhanden.

Nach etwa fünf Minuten machten wir uns wieder auf den Weg und nahmen den Anstieg zum ‚Col de Montets‘ in Angriff. Dieser Anstieg mit circa 600 Höhenmetern stellte für uns kein großes Problem dar. Die Beine waren noch frisch und so fuhren wir recht zügig auf den Pass.


Nach einer kurzen Zwischenabfahrt folgte gleich darauf der ‚Col de la Forclaz‘. Dieser Anstieg hatte nur circa 300 Höhenmeter, was aber auch gut so war, denn schon in den ersten Kehren hörten wir hinter uns ein Donnern und je näher wir der Passhöhe kamen, desto näher kam das Gewitter. Etwa einen Kilometer vor dem Pass fing es an zu regnen, so dass wir mit Volldampf über den Pass und in die Schweiz fuhren, um dem Gewitter davon zu fahren. Dies gelang uns zunächst auch und als wir uns unten im Tal umdrehten, sahen wir oben auf dem Pass dicke dunkle Wolken und Blitze zucken. Puh das war knapp!
Auf dem Weg zur nächsten Verpflegung in ‚Les Valettes‘ holte uns der Regen dann aber doch noch ein. Deshalb hielten wir uns nicht allzu lange dort auf, sondern füllten nur die Flaschen auf, nahmen ein paar Riegel mit und schwangen uns wieder auf unsere Räder.

Der nun folgende Anstieg nach Champex Lac hatte ungefähr 900 Höhenmeter. Er war also der erste richtige Anstieg an diesem Tag. Anfangs regnete es noch, doch gegen Mitte des Anstieges ließ der Regen langsam nach und hörte schließlich auch ganz auf. Unser Rhythmus war gut und so erklommen wir den Anstieg und diskutierten dabei die Vor- und Nachteile des wechselhaften Wetters. Mir kommt kühles Wetter eher entgegen, während Ralf es lieber etwas wärmer mag. Wir mussten es so nehmen, wie es war und versuchten trotzdem das Beste aus dem Tag zu machen. Als wir fast auf der Passhöhe waren, warf ich einen Blick auf meinen Garmin und musste feststellen, dass wir zu diesem Zeitpunkt circa 1/3 der Strecke und 1/4 der Höhenmeter absolviert hatten. Dieser Gedanke machte mir ein wenig ein mulmiges Gefühl, aber wir fühlten uns gut und so passierten wir den Pass und begaben uns auf die Abfahrt, auf die dann sogleich der Anstieg zum ‚Grand St. Bernard‘ folgen sollte.


Dieser Pass ist sehr stark befahren und führt zunächst durch nicht enden wollende Galerien, bevor circa 5 km vor der Passhöhe der Verkehr in einen Tunnel abbiegt und die letzten Kilometer etwas steiler werden, dafür aber wieder ruhiger.
Dieser Anstieg forderte sehr viel unserer Energie. Wir fuhren aber gut und überholten viele andere Fahrer. Als wir die Passhöhe auf 2469m Höhe erreicht hatten, fielen wir beide über die Verpflegung her, denn wir hatten mittlerweile richtig Hunger bekommen. Wir ließen uns Zeit und füllten in aller Ruhe unsere Speicher wieder auf.

Danach folgte eine lange Abfahrt nach Italien ins ‚Aostatal‘. Mit jedem Höhenmeter, den wir vernichteten, stieg die Temperatur an. Unten im Aostatal, am Ende einer langen Abfahrt, herrschten sommerliche Temperaturen, so dass wir uns erst mal unserer Windwesten entledigen konnten. Wir hatten Glück und auf dem nun folgenden, leichten Anstieg über eine gerade Straße in Richtung ‚La Salle‘, hatten wir Rückenwind.
Dort war eine weitere Verpflegungsstation aufgebaut, an der wir uns jedoch nur ganz kurz aufhielten, um einen Becher Cola zu trinken.
Nun folgte der Anstieg auf den ‚Petit Saint Bernard‘, der jedoch mindestens genauso schwer zu fahren war, wie der Anstieg auf den großen Saint Bernard. Wir hatten vorher darüber diskutiert und waren der Meinung, dass wir, wenn wir es auf den ‚Petit Saint Bernard‘ schaffen, dann auch auf alle Fälle ins Ziel kommen. Dieser Pass war für uns also ein wichtiger Schritt zum Ziel. Wir fühlten uns immer noch gut und fuhren beide mit Powermeter und achteten sehr genau darauf, niemals zu überziehen.
Der Anstieg führte zuerst angenehm durch den Wald, bevor das Gelände später dann wieder offener wurde. Auf der Passhöhe war eine weitere Verpflegung aufgebaut, die wir dankend in Anspruch nahmen.


Die nun folgende Abfahrt nach ‚Bourg Saint Maurice‘ in Frankreich brachte uns auf eine Höhe von 840 m zurück, von der aus wir den vorletzten Anstieg auf den ‚Cormet de Roselend‘ in Angriff nahmen. In diesen Pass fuhr ich wohl etwas zu optimistisch herein und merkte bald erste Krampfansätze. Sofort nahm ich etwas heraus und schluckte eine Salztablette. So kurbelte ich mit circa 200 Watt den Rest des Passes herauf und bald waren die Krampfansätze auch schon wieder weg. Aber nach über 6600 Höhenmetern kann das schon mal passieren, denke ich. Leider fing es schon zur Hälfte des Passes wieder zu regnen und zu donnern an, und so fuhren wir im Regen den Rest des Berges hinauf. An der Verpflegung hielten wir uns nur ganz kurz auf, und wir sahen zu, dass wir schnell wieder zu Tal kamen. Auf der Abfahrt kamen wir an einem Stausee vorbei, wo wir noch schnell einen Fotostopp machten, um zwei Fotos zu schießen.


Dann ging es weiter in die Abfahrt und so erreichten wir in der Dämmerung den Beginn des Schlussanstieges nach ‚Les Saisies‘. Ein kleines Bergsträßchen das noch einmal circa 800 Höhenmeter für uns bereit hielt. Aus der Dämmerung wurde schnell Nacht und wir kurbelten die letzte 3/4 Stunde in der Dunkelheit nach ‚Les Saises‘. Es ging vorbei an einem einheimischen Bergbauern, der auf seinem Schifferklavier spielte, und an Jugendlichen die uns anschrieen, dass es nur noch 7 km wären. Wir näherten uns dem Zielort und fuhren über die Hauptstraße die letzten 2 km zum Ziel. Angefeuert von vielen Zuschauern fiel es uns noch einmal leicht, die letzten paar Watt zu mobilisieren. So fuhren wir um 22:24 Uhr nach 17 Stunden und 24 Minuten Fahrzeit über die Ziellinie. Ich denke, die Zeit ist bei dieser Veranstaltung aber absolut zweitrangig und jeder, der es ins Ziel schafft, kann sich als Sieger fühlen.

Es war ein Tag wie im Rausch. Hitze, Regen, Gewitter, traumhafte Ausblicke, rasante Abfahrten, fordernde Anstiege und alles, was den Radsport sonst noch ausmacht. Alles in allem der wohl härteste Tag meines Lebens, aber auch einer, an den wir uns noch lange erinnern werden. Ich kann diese Veranstaltung nur jedem empfehlen, der sich dazu gut genug trainiert fühlt.

Markus